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Frankfurt/Main 1909/10

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Tatort Frankfurt a. M. 1909/10

Auch in der „guten alten Zeit“ waren die Zeitungen voller Berichte über Raubmorde, Lustmorde, Kindsmorde, aufgefundener zerstückelter Leichen, Bandenkriminalität, Einbrüche, Spielhöllen, politische Attentate, Spionage, Veruntreuungen und Betrugsskandale. Es war alles schon dagewesen. Natürlich war damals auch Frankfurt/Main bereits ein heißes Pflaster. Hier einige Kriminalberichte aus den damaligen „Frankfurter Nachrichten“, die es wert sind,nach über 100 Jahren wieder einmal veröffentlicht zu werden. Im ersten Fall geht es um einen Erpresser, der eine zeitlang in den USA lebte und höchstwahrscheinlich auch die Erpressermethoden von dort in die Mainmetropole importieren wollte. Der Bericht liest sich wie ein Groschenroman aus jener Zeit. Satzbau, Orthographie und Zeichensetzung sind im Original wiedergegeben.

Die schwarze Hand.

Am 27. Mai erhielt ein in der Beethovenstraße wohnender Kaufmann einen Brief folgenden Inhalts:“In der letzten Meeting von der Verschwörung„schwarze Hand“ ist einstimmig beschlossen worden, an uns 5000 Mark an einer Stelle niederzulegen, die unser Beauftragter Ihnen noch näher mitteilen wird. Geben Sie sich keine Mühe, durch Benachrichtigung der Polizei unseren Beauftragten festzunehmen, denn es würde vergebens sein. Wir haben alle Vorsichtsmaßregeln getroffen. Sollte dieses nicht geschehen, so hüten Sie sich vor der Rache. The Mona vera würde nicht dulden, daß Sie innerhalb bestimmter Wochen noch unter den Sterblichen wären, denn unsere Browning-Revolver und die noch mehr gefürchteten Bomben haben schon viel ins Jenseits gefördert.“ Der Kaufmann beschritt den einzig richtigen Weg, den man beim Empfang solcher Schreiben ergreift, er ging zur Polizei. Diese gab ihm den Rat, auf den Vorschlag einzugehen. Er erließ nun eine Annonce, deren Inhalt den Mitgliedern der schwarzen Hand ankündete, daß der Kaufmann das Geld bezahlen wolle. Schon am folgenden Tage bekam der Kaufmann eine Antwort. Er wurde ersucht, das Geld in bestimmten Münzsorten in dem Zigarrenladen von Ferdinand Rübenacker, Stoltzestraße 24, abzugeben und zwar für den Willy. Der Kaufmann machte ein Päckchen Papierschnitzel zurecht, trug es in den Laden und entfernte sich. Bald danach erschien ein junger Mann, der einen auf den Namen Willy lautenden Zettel abgab und um das Paket bat. Kaum war er im Besitz des Päckchens, als er auch schon von einem Kriminal-Schutzmann verhaftet wurde. Der Inhaftierte war der Küfer Nikolaus Bär, der behauptete, er sei lediglich beauftragt worden, das Paket zu holen. Auftraggeber sei ein gewisser Deisenberger. Bär wurde wieder entlassen. Deisenberger war inzwischen in die Schweiz gegangen und kehrte erst nach Wochen zurück. Er wurde festgenommen und gab an, daß ihn ein Mann namens Ludwig aus Chemnitz zur Abholung des Paketes beauftragt habe. Der Auftrag, für den ihm 20 Mark versprochen worden waren, habe er nicht ausführen wollen, sondern dem Bär übertragen, dem er die 20 Mark zusagte. Bei einer Durchsuchung der Effekten Deisenbergers, der seines Zeichens Schreiner ist und mit Vornamen Philipp heißt, fanden sich nun Briefbogen, die mit dem Bogen übereinstimmten, auf dem der Erpresserbrief geschrieben war. Auf dem Bogen war ein Hotel abgebildet, das in Seattle ist. Seattle liegt bei San Francisco und ist eine rasch aufgeblühte Stadt. Es wurden in ihrer Nähe Goldfunde gemacht. Deisenberger wollte die bei ihm entdeckten Bogen von Ludwig erhalten haben. Es wurde festgestellt, daß Deisenberger, der sich gestern vor der Strafkammer wegen Erpressungsversuchs zu verantworten hatte, in Amerika weilte und auch in San Francisco war. Der als Zeuge vernommene Kaufmann bekundete, daß auch er schon mehrmals in Amerika war und einmal gerade zu der Zeit, in der der Angeklagte, den er natürlich nicht kannte drüben weilte, der Kaufmann hat in Amerika reiche Verwandte und es mag nicht ausgeschlossen sein, daß Deisenberger die Adresse dort erfuhr. Eine Reihe anderer Indizien wirkten sehr belastend für den Beschuldigten, der hartnäckig leugnete. Die von Dr. Popp untersuchten Fingerabdrücke und angestellten Schriftvergleiche sprachen sehr für die Täterschaft des Angeklagten, der auf Grund des Indizienbeweises zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde und sich bereiterklärte, die Strafe gleich anzutreten.

(Quelle: „Frankfurter Nachrichten“ v. 20.10.1909, S. 6)

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©Sammlung Arndt-H. Marx, Hanau

Frankfurt ist heute ein Eldorado des internationalen organisierten Verbrechens. Aber auch schon zu Kaisers Zeiten war für kriminelle Elemente aus dem Ausland Frankfurt am Main bereits ein Anziehungspunkt. Ein bestes Beispiel dafür ist der nächste Fall. Satzbau, Orthographie und Zeichensetzung sind im Original wiedergegeben.

D-Zug-Diebe.

Der hiesigen Kriminalpolizei war von auswärts die Benachrichtigung zugegangen, daß internationale Gauner D-Zug-Reisende berauben würden. Die Folge war, daß auf dem Hauptbahnhof die Wachsamkeit verdoppelt wurde. Der Kriminalwachtmeister Geinitz passte fleißig auf jeden D-Zug, ob sich die signalisierten Herren nicht einstellen würden. Anfangs Juli sollte er denn auch die Genugtuung haben, die Diebe beobachten und festnehmen zu können. Als am 1. Juli der D-Zug Köln-München um 4,30 Uhr in Frankfurt einlief, sah er, wie sich drei Herren in den Gängen an einen Reisenden herandrängten, der seinen Rock jedoch zuknöpfte. Das Trio bestieg kurz darauf den Eilzug 4,56 Uhr nach Wiesbaden. Dort verließ jeder allein den Zug. Nachdem sie in das Stadtzentrum gewandert waren, trafen sie sich wieder und berieten miteinander. Der Kriminalwachtmeister, der nachgefahren war, verlor die Leute aus den Augen und fuhr nach Frankfurt zurück. Am folgenden Tag wurden hier die Frühzüge kontrolliert. Geinitz fuhr dann gegen 10 Uhr nach Wiesbaden und stieß auf einen der drei, der aus dem Gordan-Hotel seinen Koffer nach der Bahn transportieren ließ. Hier gesellten sich auch die zwei anderen verdächtigen Individuen zu dem Beobachteten. Alle drei plazierten sich in den Schnellzug Wiesbaden-Mainz-Frankfurt. Zwei der Spitzbuben setzten sich zusammen, ahnten natürlich nicht, dass neben ihnen sich ein Polizist niedergelassen hatte. Der dritte Gauner nahm unweit des Abteils in einem anderen Coupe´Platz. Als sich der Zug dem hiesigen Hauptbahnhof näherte, stellte sich der eine Dieb mit ausgebreitetem Mantel vor den Eingang zu einem Abteil erster Klasse, wo der Graf Csekernice aus Budapest stand. Einer der verbündeten langte unter dem Ueberzieher her und stibitzte die u. a. einen Hundertmarkschein enthaltende Brieftasche des Grafen. Der dritte im Bunde kam in dem Moment mit einer Reisetasche vorbei und tat so, als wolle er aussteigen. Als sich das Trio dann bei der Ankunft des Zuges entfernen wollte – zwei der Gauner stiegen auf der verkehrten Seite aus – wurde es von Geinitz, der inzwischen rasch andere Beamte unterrichtet hatte, verhaftet. Bei dem Verhör in der Polizeiwache des Bahnhofs ließ dereine die Brieftasche des Grafen unter den Tisch fallen, was jedoch bemerkt wurde. Die Verhafteten entpuppten sich als der 48jährige Konfitürenhändler Baruch Schapiro aus Grodno in Russland, der gleichalterige Pferdehändler Teofil Swersbutowitz aus Kowno und der 34jährige Kaufmann Wilhelm Jankoritsch aus Warschau. Die Verhafteten taten so, als kenne keiner den andern. Der eine wollte aus London, der andere aus Amerika und der dritte aus Italien kommen. Die Photographien der internationalen Hochstapler machten bei allen Polizeibehörden des Reiches die Runde. Die Berliner Kriminalpolizei behauptet, daß sich die Verhafteten noch im Juni in russisch-jüdischen Kaschemmen der Reichshauptstadt aufhielten. Von Swersbutowitz glaubt man, daß er Berkowitsch mit seinem rechten Namen heißt. Den Dieben wurden drei Reisetaschen abgenommen, die Schlipsnadeln, Brieftaschen, in- und ausländische Banknoten usw. enthielten, also Material, das zu der Annahme berechtigte, man habe die richtigen Gauner erwischt. Jankowitsch hatte 350 Francs in Schweizer Münze bei sich. Dies Geld wurde am 1. Juli einem Kaufmann aus Köln bei der Fahrt Aschaffenburg-Köln vor Wiesbaden gestohlen. Ein Generaldirektor war im D-Zug Düsseldorf-Berlin um eine wertvolle Brillantnadel bestohlen worden. In den Verhafteten, die gestern vor der Strafkammer standen, erkannte er die Leute wieder, die sich damals so auffallend an ihn herandrängten.-Ein Wiener Assistent hatte auf der Reise Wien-München den Verlust seiner Brieftasche mit einem 100 Kronenschein zu beklagen. Wahrscheinlich waren die Angeklagten auch in diesem Fall die Diebe gewesen. Sicher ist dagegen, daß sie am 10. Dezember v. J. im D-Zug Mailand-Genua einem Rentner aus Worms 600 Franks und 300 Mark abnahmen. Es wird ferner vermutet, daß das Trio am 4. Mai einem im Wartesaal in Schönbrunn weilenden Pferdehändler 8000 Kronen stahl. Die im Ausland begangenen Diebstähle konnten natürlich bei uns nicht abgeurteilt werden. Das Gericht, das die Beschuldigten des Bandendiebstahls in drei Fällen für überführt ansah, erkannte noch über die beantragte Strafe von 6 ½ Jahren Zuchthaus hinaus auf je acht Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht.

(Quelle: „Frankfurter Nachrichten“ v. 11.12.1909, S.7)

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©Sammlung Arndt-H. Marx, Hanau

Auch eine reiche Frankfurter alte Dame wurde ein Opfer der „Schwarzen Hand“. Darüber berichtet folgender Artikel. Satzbau, Orthographie und Zeichensetzung sind im Original wiedergegeben.

Ein Erpresser der „schwarzen Hand“

nennt sich der 17jährige Hafenmachergehilfe Viktor Majorek aus Haidemühl in Schlesien in Erpresserbriefen, die er an verschiedene Millionärswitwen absandte. Anfang Mai erhielt eine reiche alte Dame, die hier im Westend wohnt, einen Brief aus Heyerswerda in Schlesien, in dem ein angebliches Mitglied der „schwarzen Hand“ sie aufforderte, die Kleinigkeit von zwei Millionen Mark postlagernd nach Heyerswerda zu senden, da sonst ihr Leben verfallen sei. Dieser Erpresserbrief wanderte sofort an die richtige Adresse, nämlich an die Kriminalpolizei, und diese sandte bereitwilligst einen dickleibigen Brief postlagernd nach Heyerswerda, wenn sie auch vorsichtshalber die zwei Millionen Mark nicht beifügte. Der Brief wurde von einem Schuljungen abgeholt, der sogleich von Polizeibeamten festgenommen wurde. Der Junge führte die Polizei zu Majorek als den Auftraggeber, der ein phantastischer Mensch und ein Opfer unglücklicher Ideen zu nennen ist. Majorek lebte in dem Wahn, das Perpeduum mobile erfunden zu haben. Die Kosten zum Bau dieses Werkes sollten seiner Berechnung nach sehr hoch sein, und deshalb sann er auf Mittel und Wege, wie er zu Geld kommen könne. Eine Dresdner Buchhandlung lieferte ihm die Adressen reicher Damen und da fand sich auch der Name und Wohnort einer Frau W. in Frankfurt W. Kurzerhand schrieb er ihr einen Erpresserbrief und ersuchte sie um Zusendung des Geldes in Banknoten und Münzen, da Wertpapiere für ihn nutzlos seien. Sein Vergehen war die Nachahmung des Tuns eines Romanhelden, dessen Geschichte Majorek gelesen hatte. Der Siebzehnjährige war überhaupt ein eifriger Leser von Indianergeschichten und Sensationsromanen. Die Lektüre übte auf ihn einen sehr verderblichen Einfluß aus und brachte ihn schließlich auf die Bahn des Verbrechens. Nach einem sachverständigen Gutachten des Gerichtsarztes ist Majorek nicht geisteskrank, aber als einen Verbrecher kann man ihn auch nicht bezeichnen. In Anbetracht dieser Bekundungen ließ die Strafkammer, vor der Majorek gestern wegen Erpressungsversuchs erschien, äußerste Milde walten und erkannte auf einen Monat Gefängnis. Auch wird der Angeklagte der bedingten Begnadigung empfohlen.

(Quelle: „Frankfurter Nachrichten“ v. 17.06.1910, S.6)

Es scheint im damaligen kriminellen Milieu eine Marotte gewesen zu sein, den gruseligen Namen „schwarze Hand“ zu benutzen, um den Opfern die Drohkulisse einer allgegenwärtigen Geheimorganisation vorzugaukeln. Im Februar 1910 fand in Budapest eine Erpressung statt, die erstaunliche Parallelen mit dem oben geschilderten Erpressungsfall in Frankfurt a. M. aufwies. Satzbau, Orthographie und Zeichensetzung sind im Original wiedergegeben.

Die „schwarze Hand“ in Budapest

Budapest, 3. Februar. Der hiesige Kaufmann Adolf Kohn erhielt heute einen anonymen Brief, in welchem er aufgefordert wird, unverzüglich den Betrag von 4000 Kronen an einem berstimmten Orte zu deponieren, da er sonst samt seiner Familie ermordet würde. Der Briefschreiber motiviert seine Forderung damit, dass die Welt infolge des neuen Kometen ohnedies nicht mehr lange bestehen werde und Kohn sein Vermögen nur kurze Zeit genießen könne.

(Quelle: „Die Neue Zeitung“, Wien, v. 04.02.1910, S. 2)

Makaber ist, dass sich auch ein serbischer politischer Geheimbund jener Zeit „Schwarze Hand“ nannte. Angehörige dieser terroristischen Verschwörer-Organisation ermordeten im Jahre 1914 in Sarajewo den österreichischen Thronfolger und seine Gemahlin. Die Folgen, die dieses Attentat auslöste, sind bekannt.

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Historische Kriegspostkarte

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