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Autokino-Mord, 1962

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Tödlicher Kassensturz!

- 1962: Raubmord im Autokino, Mordverdächtige & Singvögel im Knast

Am 5. Dezember 1960 wurde in einem zerbombten Waldgebiet östlich der Kernstadt von Neu-Isenburg der erste Spatenstich für den Bau der Satellitenstadt „Wohnstadt Gravenbruch“ gesetzt. Im Juli 1962 zogen dort die ersten Familien ein, die Bauarbeiten dauerten aber noch bis 1964.

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Postkarte der „Wohnstadt Gravenbruch“ aus den frühen sechziger Jahren.

Sammlung Arndt-Heinz Marx, Hanau

Ende März 1960 wurde, nur durch eine Straße von der Wohnstadt getrennt, das erste und auf viele Jahre einzige Autokino Deutschlands eröffnet - ein „Drive Inn“ nach amerikanischem Vorbild.

            
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Zeitungsanzeige zur Eröffnung des
Autokinos Gravenbruch aus dem Jahre 1960.

© Offenbach-Post

Das abgelegene Objekt lockte auch finstere Elemente an. Bereits im Jahr nach der Eröffnung, im Jahre 1961, schweißten Ganoven den Tresor der Auto-Kino GmbH auf und erbeuteten 12.000 DM.

Im Herbst des Jahres 1962 stand die weltpolitische Großwetterlage auf Sturm: Im Oktober zog die Kuba-Krise herauf.

Der Kriminalfall, um den es hier geht, wird am 13. Oktober 1962 beginnen und die Polizei 14 Jahre lang, bis zum Jahre 1976, nicht ruhen lassen. Das Fernsehen lässt an diesem Samstagabend - die ARD ist noch der einzige TV-Sender, erst ein Jahr später wird das ZDF auf Sendung gehen - die erste Folge von „Bonanza“ auf den deutschen Bildschirmen flimmern.

1. Der maskierte Killer

Im Autokino Gravenbruch läuft an diesem 13. Oktober 1962 der James Dean-Film „Giganten“. Auch die Vorankündigung für den nächsten Film, der gezeigt werden soll, hängt schon aus. Sein Titel ist passend für das kommende Geschehen, aber zugleich auch makaber: „Bei Anruf Mord“ von Alfred Hitchcock.

Normalerweise fuhren die Schutzpolizisten der – damals noch kommunalen - Stadtpolizei Neu-Isenburg nach dem Schichtwechsel um 21.00 Uhr hinaus zu dem abgelegenen Autokino, um den

Kassierern bei der Abrechnung Schutz zu geben. Doch ausgerechnet am Abend des 13. Oktober wurden die Beamten mit ihrem VW-Bulli-Funkwagen „Primus II“ zum „Juxplatz“, zur gerade stattfindenden Kerb gerufen. Das Schicksal stellte die Weiche...

Ingrid Theile, 30 Jahre alt, ist Kassiererin im Autokino und besetzt das mittlere von drei Kassenhäuschen. Sie hat bereits die eingenommenen 10-, 20- und 50- Mark-Scheine gebündelt und in eine Geldkassette gelegt. Die Banderolen hat sie handschriftlich mit ihrem Namenszug versehen. Frau Theile bringt die Kassette in Begleitung eines männlichen Angestellten in den 20 bis 30 Meter entfernten barackenähnlichen Bürobau. Die Klappläden sind offen und die Vorhänge nicht zugezogen, die Innenbeleuchtung ist eingeschaltet. Das Gebäude ist von außen her sehr gut einsehbar. Der männliche Begleiter kehrt sofort zu einem der drei Kassenhäuschen zurück, während sich Frau Theile an ihren Schreibtisch setzt und die Geldkassette öffnet. Mit ihr sind weitere Personen im Raum: der Kinoleiter und zwei Kinobesucher, nämlich ein junges Paar, das vom Büro aus telefonieren möchte. Frau Theile will erst mit der Abrechnung beginnen, wenn die zwei betriebsfremden Personen den Raum verlassen haben.

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Eine der von Frau Theile beschrifteten Banderolen. Ihr Namenszug ist gut zu erkennen.

© Offenbach-Post

Es ist gegen 21.15 Uhr - um diese Zeit würde sich Frau Theile bei der Abrechnung mit den Neu-Isenburger Schutzpolizisten unterhalten, wenn man diese nicht zum Kirmesplatz gerufen hätte -, da betritt ein mit einer Pistole bewaffneter maskierter Mann den Büroraum. Frau Theile und die anwesenden Personen lächeln; sie glauben, hier erlaube sich jemand einen derben Scherz. Doch der Maskenmann ruft ihnen zu: “Nicht lachen, es ist kein Scherz!“. Er nähert sich dem Tisch, an dem Frau Theile sitzt, und nimmt mit der linken Hand aus der geöffneten Geldkassette das bereits von Frau Theile gebündelte Papiergeld, insgesamt 3.400 DM.

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Kriminalpolizeiliche Rekonstruktion des Überfalls

© Offenbach-Post

Dann schießt der Maskierte auf Frau Theile. Sie springt auf, schreit und stürzt zu Boden. Bei der späteren Obduktion wird festgestellt werden, dass der tödliche Schuss durch den linken Oberarm in die linke Seite des Rumpfes eingedrungen war, die Leber und die Milz durchschlagen hatte und an der rechten Körperseite wieder ausgetreten war.

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Der Sitzplatz von Frau Theile. Man sieht ihre Handtasche, daneben noch die geöffnete Geldkassette.

© Offenbach-Post

Es ist Spekulation geblieben, ob der Räuber Frau Theile deshalb erschoss, weil er dachte, sie habe ihn erkannt, oder ob der Schuss eine Reflexbewegung war. Frau Theile hatte sich während des Überfalls jedenfalls völlig ruhig verhalten und dem Täter keinen Anlass geboten zu schießen.

Nach den - allerdings teilweise widersprüchlichen - Aussagen der Zeugen war der Täter ein 20 bis 30-jähriger Mann gewesen, etwa 1,75 bis 1,85 m groß, schlank; er hatte hochdeutsch gesprochen. Bekleidet gewesen war er mit einem trenchcoatartigen Mantel mit Ringgurt, einer dunklen Hose, dunklen Schuhen und einer dunklen Baskenmütze; er hatte eine zweiteilige Gesichtsmaske getragen, mit Augenausschnitten im oberen Teil.

Einer der Kassierer, der von seinem Kassenhäuschen in das erleuchtete Bürogebäude schauen kann, sieht, dass dort etwas vorfällt. Als er an der Ecke des Bürohauses ankommt, um nachzusehen, was sich im Inneren abspielt, kommt ihm der Maskenmann mit der Pistole in der Hand entgegen und ruft ihm im Vorbeilaufen zu: “Bleib‘ stehen, sonst knallt‘s nochmal!“.

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Das Bürogebäude von den Kassenhäuschen aus gesehen.
Hinter den 2 Fenstern (Pfeil) spielte sich der Überfall ab.

© Offenbach-Post

In gebückter Haltung hastet der Maskenmann durch die Kassensperre in den Wald neben dem Autokino. Der Kassierer läuft ihm in den Wald nach. Als er stürzt und sich wieder aufrappelt, steht der vermummte Raubmörder drei Meter von ihm entfernt und befiehlt ihm: „Lauf nicht weg, sonst schieße ich!“. Der Kassierer lässt sich flach auf den Boden fallen. Der Vermummte entkommt. Es wird später bei den polizeilichen Ermittlungen vermutet werden, dass ein Komplize im Auto in einer Waldschneise auf ihn gewartet hatte. Zeugen werden darauf hinweisen, dass eine Frau in einem unbeleuchteten VW-Käfer auf der am Autokino vorbeiführenden Straße nach Frankfurt am Main gesessen habe, mit Blick zur Kinoleinwand.

Im Bürogebäude spielt sich unterdessen ein Drama ab. Der Filmvorführer wird beauftragt, den Ton des laufenden Spielfilms „Giganten“ kurzzeitig abzudrehen und, ohne den Grund zu nennen, zu fragen, ob sich unter den Kinobesuchern ein Arzt befindet.

Es meldet sich eine Frankfurter Ärztin, die Frau Theile noch am Tatort Erste Hilfe leistet. Sie ordnet an, dass die Schwerverletzte sofort in ein Krankenhaus zu bringen ist, erklärt jedoch, dass kaum eine Überlebenschance besteht.

Gegen 21.25 Uhr trifft der Funkwagen „Primus II“ der Neu-Isenburger Stadtpolizei ein, besetzt mit drei Beamten; der Kinoleiter hatte bei der Polizei angerufen. Einer der Polizeibeamten, Hans-Joachim Leber, der Frau Theile gut kannte sprach die Schwerverletzte an. Aber vergeblich, sie reagierte nicht mehr. Hans-Joachim Leber wird noch während der laufenden Ermittlungen von der Schutzpolizei zur Neu-Isenburger Kriminalabteilung wechseln und in den neunziger Jahren als Kriminalhauptkommissar in den Ruhestand treten. Im Jahre 1969 wird er auch zur Soko „Makli-Cordes“ gehören (siehe meine Reportage „Der unheimliche Mordschütze“ auf dieser Homepage).

Frau Theile erliegt noch während des Transportes ins Offenbacher Krankenhaus ihrer Schussverletzung.

Der Transport wurde mit einem Sanitätswagen des DRK vorgenommen. Speziell ausgerüstete und mit Notärzten besetzte Notarztwagen, wie wir sie heute kennen, gab es im Jahre 1962 noch nicht.

Um 21.40 Uhr wird über Sprechfunk die erste Fahndungsmeldung an das Polizeipräsidium nach Frankfurt am Main geleitet. Das von drei Straßen umgebene Waldstück, in das der Täter geflüchtet war, wird mit Polizeifahrzeugen aus Frankfurt, Neu-Isenburg, Sprendlingen und Heusenstamm umstellt. Funkwagen suchen die Waldschneisen ab. Die Suche verläuft ergebnislos, es werden nur Liebespaare aufgestöbert, die im Wald parken.

Auch die Hundestaffel der Frankfurter Polizei wird herangezogen. Sie trifft um 21.42 Uhr ein. Ein Suchhund kann in einer Schneise eine Spur drei bis vier Kilometer lang verfolgen, die auf die Landstraße von Neu-Isenburg nach Heusenstamm führt.

Auch findet man in dem an das Kino angrenzenden Waldstück Reifenspuren, die jedoch die Ermittlungen nicht weiterführen werden.

Inzwischen trifft die Spurensicherungsgruppe des LKA Wiesbaden am Tatort ein. Es werden sofort Fingerabdrücke sichergestellt. Weiterhin wird eine Mordkommission, bestehend aus Beamten des LKA Wiesbaden, der Kripo Neu-Isenburg sowie der staatlichen Kriminalinspektion Darmstadt und deren Außenstelle Gießen zusammengestellt.

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Spurensicherer des LKA bei der Arbeit.

© Offenbach-Post

Bis Sonntagabend diente der Büroraum des Autokinos als das Hauptquartier der Ermittlungsgruppe, erst zwei Stunden vor Beginn der Sonntagsvorstellung zog die Mordkommission ins Neu-Isenburger Rathaus um.

Es wurde ermittelt, dass es sich bei der Waffe, mit der Frau Theile erschossen worden war, um eine automatische Pistole des Fabrikats „Smith & Wesson“, Kaliber 9 mm gehandelt hatte. Legal wurde eine solche Waffe im Jahre 1962 von 57 Besitzern geführt. Die Beschusstests dieser registrierten Pistolen verliefen jedoch ergebnislos. Weitere 33 Pistolen dieses Typs wurden in dieser Zeit beim amerikanischen CID geführt, der Kriminalpolizei der amerikanischen Stationierungsstreitkräfte.

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Mit solch einer Waffe vom Typ „Smith & Wesson“ wurde Ingrid Theile erschossen.

Foto: Kriminalpolizei

Zeugen meldeten sich und gaben an, dass ein Mann im Restaurant des Autokinos auffällig Geld gewechselt hatte. Der Mann habe eine Hasenscharte gehabt und sei dadurch besonders aufgefallen. Nach dem Raubmord an Ingrid Theile wurde der Mann nie wieder in der Gegend gesehen.

Noch im Jahre 1962 wurde zur Klärung des Falles eine Belohnung von insgesamt 8.000 DM ausgesetzt werden. Bis zum Jahre 1963 wurde sie auf 10.000 DM erhöht.

Am 17. Oktober bemängelt die Frankfurter „Abendpost-Nachtausgabe“ unter anderem:

„Warum z.B. hat man die Besucher des Auto-Kinos am Samstagabend nach Hause fahren lassen, ohne sie zu befragen oder sie wenigstens zu notieren?

Unsere Kernfrage aber lautet: Sind die ländlichen (und städtischen) Kriminaldienstellen zur Aufklärung solcher Verbrechen genügend ausgerüstet und geschult?

In England kann die mustergültige Organisation von Scotland Yard jederzeit angefordert oder von höherer Stelle eingesetzt werden.

In den USA greift das FBI (Bundeskriminalpolizei) bei bestimmten Verbrechen oder nach festgesetzter Frist automatisch ein. Seit Schaffung des FBI ist das Ansehen der amerikanischen Polizei gewaltig gestiegen. Warum gibt es bei uns nicht ähnliche Einrichtungen?

Wenn die Gangster bei uns zu ‚amerikanischen Methoden‘ übergehen, sollte man unsere Beamten nach amerikanischen Polizeimethoden ausbilden lassen. Möglichst in den Staaten oder durch ausgeliehene US-Beamte.“

       
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Großes Vorbild FBI. G-Man im Einsatz

© Federal Bureau of Investigation, Washington D.C.

Auch Oberstaatsanwalt Dr. Hofmann erklärte bedauernd, die Aufklärung von Kapitalverbrechen sei in der Bundesrepublik Ländersache und es gebe keine dem FBI und dem Scotland Yard vergleichbare Stelle. Er meinte, es sei eine schlagkräftige Zentralstelle wünschenswert, die gleichzeitig an der Aufklärung zweier oder mehrerer Morde arbeiten könnte.

Die Ermittlungen der Kripo wurden unterdessen in der Presse kritisiert. Auslöser war der Umstand, dass die Ermittler glaubten, sie hätten die Mörder bereits erwischt…

2. Bundesweite Blitzfahndung nach zwei Tatverdächtigen

Am Sonntagmorgen, dem 14. Oktober 1962, wird in Bingen ein gestohlener hellgrauer Opel Rekord aufgefunden, der am Vorabend in Koblenz gestohlen worden war. Es war beobachtet worden, dass zwei junge Männer das Fahrzeug verlassen hatten. Die Kripo in Bingen stellt im Inneren des Fahrzeugs u.a. eine Windjacke sicher, in deren Seitentasche eine schwarze Gesichtsmaske mit Sehschlitzen steckt. Der Fund wird sofort an die Mordkommission nach Neu-Isenburg gemeldet, und von Rheinland-Pfalz aus wird eine bundesweite Blitzfahndung nach den beiden Autodieben, nun des Autokino-Mordes verdächtig, eingeleitet. Sogar Interpol wird eingeschaltet.

Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die beiden Elektrolehrlinge Dieter H. und Adolf B. ein Alibi hatten. Auch die sichergestellte Maske konnte von einem Zeugen des Autokino-Mordes nicht als die Maske identifiziert werden, die der Täter beim Überfall getragen hatte. Die beiden jungen Männer hatten am fraglichen Samstagabend bis 20.30 Uhr im Lehrlingshaus der Caritas in Koblenz vor dem Fernseher gesessen. Der Überfall in Neu-Isenburg fand um 21.15 Uhr statt. Selbst mit dem schnellsten Auto wäre es nicht möglich gewesen, in der Zwischenzeit von Koblenz nach Gravenbruch zu rasen, um dort den Überfall zu begehen.

Die beiden mussten sich wegen Autodiebstahls verantworten,  aber nicht wegen Raubmordes.

Die Kripobeamten in Rheinland-Pfalz hatten den Fehler begangen, eine Blitzfahndung in die Wege zu leiten, ohne vorher ein mögliches Alibi der Verdächtigen geprüft gehabt zu haben. Sie hatten dadurch ihre hessischen Kollegen auf eine falsche Fährte gesetzt. Da wertvolle Zeit und Energie durch die Jagd nach den vermeintlichen Mördern vertan worden war, hagelte es von der Presse Kritik. Der Öffentlichkeit war durch Mitteilungen zur Koblenzer Spur der Eindruck vermittelt worden, der Fall stehe kurz vor der Aufklärung. Nachdem sich diese Spur als falsch herausgestellt hatte, dauert es erst wieder eine Zeit, bis Hinweise aus der Bevölkerung zu bekommen waren. In der „Frankfurter Allgemeinen“ war am 20.10.1962 zu lesen:

„Hätten sich die Koblenzer Kriminalisten rechtzeitiger um das Alibi der Lehrlinge gekümmert, die eine Dreiviertelstunde vor der in Gravenbruch verübten Tat noch vor einem Fernsehschirm in Koblenz saßen, dann wäre die Neu-Isenburger Mordkommission nicht durch eine überflüssige Blitzfahndung von viel wichtigeren Spuren abgelenkt worden.“

Fazit: Die Koblenzer Spur war eine Fehlanzeige!

Schon zwei Tage vorher, am 18.10.1962 hatte die „Frankfurter Allgemeine“ getadelt:

„Hundert Beamte der Hessischen Bereitschaftspolizei aus Wiesbaden kämmen seit Mittwochmorgen systematisch das Waldgebiet, in das der Täter geflüchtet ist, durch; es handelt sich dabei um das von der Landstraße 3117 und den Bundesstraßen B 46 und B 549 begrenzte Gelände. Der Einsatz der Bereitschaftspolizei wurde über Nacht abgebrochen und soll am heutigen Donnerstag fortgesetzt werden. Verwunderte Fragen, warum erst am vierten Tage nach dem Verbrechen damit begonnen worden sei, beantwortete die Neu-Isenburger Kommission mit dem Hinweis, man könne nicht alles auf einmal machen.“

Und weiter heißt es in demselben Artikel:

„Von einer ausreichenden Besetzung der Mordkommission in Neu-Isenburg scheint keine Rede mehr zu sein, wenn auch die Zahl der dort tätigen Beamten von sieben auf neun erhöht worden ist. Kriminalrat Gehrig hat beim Hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden wiederholt darum gebeten, Spezialbeamte nach Neu-Isenburg abzustellen.“

 
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Beamte der hessischen Bereitschaftspolizei beim
Durchkämmen des an das Kino grenzenden Waldgebietes.

© Offenbach-Post

Das hessische LKA schickte Verstärkung, so dass die Kopfstärke der Mordkommission bald auf 13 Beamte stieg. Einer der beiden aus Wiesbaden entsandten Beamten wurde allerdings wegen eines Doppelmordes in Rüsselsheim schon bald wieder abgezogen.

Was war in Rüsselsheim geschehen?

Am 18.10.1962 war der Bauunternehmer Walter Weiß und seine Ehefrau Margot von dem Hilfsarbeiter Manfred O. erstochen worden. O. war in das Schlafzimmer der Eheleute eingedrungen, um sich die Autoschlüssel des Jaguar-Sportwagens von Manfred Weiß zu verschaffen. Der Sohn der Familie Weiß hatte noch mit dem Doppelmörder gekämpft und war schwer verletzt worden. Manfred O. hatte Gerald Weiß für tot gehalten. O. war über Frankfurt nach Gießen geflüchtet, wo er in der Wohnung einer Bardame einige Tage später verhaftet wurde.

Man sieht, während der schwelenden Kuba-Krise im Oktober 1962 ging es in Sachen „Schwerstkriminalität“ auch im Rhein-Main-Gebiet heiß her

3. Ein Hinweis aus dem Knast

Am 13.11.1962 begibt sich Staatsanwalt Waldschmidt von der Staatsanwaltschaft Darmstadt in die dortige Untersuchungshaftanstalt. Ein junger Berliner, wohnhaft in Hanau, befindet sich dort in U-Haft und will eine Aussage zum Autokino-Mord machen. Seine Komplizen bei dem „Ding“, wegen dem er in U-Haft sitzt, sind dieselben, die ein Jahr vorher den Bruch im Autokino Gravenbruch gemacht hatten. An dieser Sache war er jedoch nicht beteiligt gewesen.

Im August 1961 war er in der Hanauer Kneipe „Capitolstuben“ von drei Unterweltlern (Spitznamen: „Fanta“, „Mike“ und „Pitt“) angesprochen worden. Die drei schienen gewusst zu haben, dass seine Kumpels zuvor das „Ding“ in Gravenbruch „gedreht“ hatten. Die Drei hatten ihm nunmehr eine neue Sache vorgeschlagen, nämlich im Autokino den Kassierern das Geld abzunehmen, bevor es weggebracht wird. Der Berliner hatte jedoch abgelehnt; für einen Raub stehe er nicht zur Verfügung. An diesem Abend war noch eine Lederfabrik im Offenbacher Industrieviertel und eine Pepsi-Cola-Fabrik ausbaldowert worden, wo mal „ein Bruch gemacht“ werden sollte. Auch hatten die drei Ganoven davon gesprochen, eine Geldbotin am Hanauer Kanaltorplatz zu überfallen, bevor sie die Geldbombe in den Tresor der Commerzbank wirft.

Der Berliner, ein im Prinzip grundanständiger Mann, der im von den Amerikanern dominierten „Wildwest-Hanau“ der Nachkriegszeit in schlechte Gesellschaft geraten war, hatte sich jedoch aus den vorgeschlagenen krummen Dingern herausgehalten und nicht mitgemacht.

Jedoch sollte auch diese Spur nicht zum Maskenmann führen.

4. Waren es die Kaufhaus-Räuber?

Mittwoch, 10. April 1963. Schauplatz: das Neckermann-Kaufhaus auf der Frankfurter Zeil. Zwei junge Männer bewegen sich zielstrebig auf den Hauptkassenraum im 5. Stock des Gebäudes zu. Dort sitzen um 18.25 Uhr drei Kassiererinnen. Die jungen Männer tragen Sonnenbrillen und tarnen ihre untere Gesichtshälfte in Wildwest-Banditen-Manier mit Tüchern.

“Keinen Mucks, sonst knallt´s!“, tönt es im Frankfurter Dialekt.

Die drei Frauen schauen in die Mündungen von zwei Revolvern. Einer der Gangster rafft das gesammelte Geld der Abendkasse an sich und stopft es in eine mitgebrachte Tasche. Der ganze Spuk dauert gerade einmal zwei Minuten. Die Räuber erbeuten 81.600 Mark. Sie verschwinden durch einen Personalausgang und tauchen im dichten Menschengewühl auf der Frankfurter Einkaufsmeile unter.

Der Polizei war gleich klar, dass die Täter Ortskenntnisse besitzen mussten.

Die Firma Neckermann setzte sofort 5.000 DM Belohnung aus.

Eine Woche später wurde der erste des Duos verhaftet, der 19-jährige Verkaufsfahrer Wolfgang D. aus Frankfurt am Main. Er war gleich geständig. Sein Komplize war der 20-jährige Hilfsarbeiter Jochen H. aus Neu-Isenburg, der bis zum 15. Januar 1963 als Hilfsarbeiter bei Neckermann beschäftigt gewesen war - daher die genauen Ortskenntnisse.

H. wurde einige Tage später in Passau verhaftet.

Es wurden auch Waffen sichergestellt, nämlich zwei Gasrevolver.

Bald orakelte die Presse: „Überfielen Kaufhaus-Räuber auch Autokino Gravenbruch?“

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Die bei D. unter einem Kohlenhaufen gefundene
Tasche. Inhalt: 28.000 DM und ein Gasrevolver.

© Offenbach-Post

Nein, wiederum Fehlanzeige. Die beiden hatten mit dem Autokino-Mord nichts zu tun.

5. Eine heißer Tipp aus dem Knast

Im August 1969 meldet sich aus der U-Haftanstalt für Frauen in Frankfurt am Main-Preungesheim eine Frau Gertrud K. und macht bei der Polizei eine interessante Aussage. Wer ist Frau K.?

Im Mai 1969 wurde bei einer polizeilichen Durchsuchung im Keller des Hauses, in dem das Ehepaar K. wohnte, in einer Truhe die Leiche der 82-jährigen Hausbesitzerin Mathilde Kopp gefunden. Hinweise waren aus dem Verwandtenkreis von Frau Kopp gekommen. Mathilde Kopp, die seit November 1968 verschwunden war und seitdem als vermisst galt, hatte sich zwar angeblich auf einem „Kuraufenthalt“ befunden, die Gerüchte über den Kuraufenthalt waren jedoch vom Ehepaar K. gestreut worden. Frau K., die während der polizeilichen Hausdurchsuchung flüchtete und einige Tage später bei Verwandten in Nürnberg festgenommen wurde, sagte aus, Frau Kopp sei am 21. November 1968 in der Wohnung des Ehepaares K. über einen Staubsauger gestolpert und so unglücklich gestürzt, dass sie mit einer Platzwunde am Kopf liegengeblieben sei. Sie, die K‘.s, hätten nun Angst gehabt, zur Polizei zu gehen, und hätten die Leiche in der Truhe versteckt. Als die Leiche zu stinken begonnen habe, hätten sie diese zusätzlich in eine Plastikplane gewickelt und die Truhe samt Inhalt in den Keller gebracht.

Hans K. wurde nach vierwöchiger U-Haft auf freien Fuß gesetzt, da er von seinem Arbeitgeber ein Alibi bekommen hatte. Er hatte sich am Tattag jenseits des Rheins in Meckenheim befunden. So haftete der Verdacht, Frau Kopp umgebracht zu haben, allein an Gertrud K., welche die ganze Zeit ihren Mann belastete.

Kurzum, beim Prozess im Oktober 1972 sollte das Ehepaar K. freigesprochen werden.

In der Urteilsbegründung wird es u.a. heißen:

„Mit diesem Urteil wird ein Fall abgeschlossen, der die Phantasie anregt. Was tatsächlich am 21. November 1968 in der K.-Wohnung passiert sei, wissen wir nicht. Der Angeklagten sei nicht zu widerlegen, dass ihr Ehemann Hans K. doch zu Hause war, womit nicht gesagt sein solle, dass wir das glauben. Diese Ungewissheit lasse nämlich die Klärung der Frage offen, wer möglicherweise absichtlich oder unabsichtlich den tödlichen Schlag oder was auch immer ausgeführt habe.“

In der Urteilsbegründung ist auch angedeutet, dass bei den Ermittlungen offenbar zahlreiche Fehler gemacht worden seien. Die Angeklagte K. wird die volle Entschädigung für die 2 Jahre und acht Monate dauernde U-Haft aus der Staatskasse erhalten. So sollte im Jahre 1972 der

„Leiche-in-der-Truhe-Fall“

enden. Mehrere Fragen sollten ungeklärt bleiben.

Soviel zum Hintergrund von Frau K. Jetzt zurück zu ihrer Aussage im August 1969 in der U-Haft zum Autokino-Mord:

Ihr Ehemann Hans K. sei bereits vor ihrer im Jahre 1962 erfolgten Eheschließung mit einem Ehepaar S. befreundet gewesen. Das Ehepaar S. habe längere Zeit hindurch in demselben Haus gewohnt, in dem die ermordete Frau Theile gewohnt hatte. Im Sommer und Herbst 1962 habe das Ehepaar S. dann in Bad Wiessee gewohnt und habe die K.´s im Herbst 1962 zweimal besucht. Bei dem ersten Besuch habe der Ehemann S. den Eheleuten K. eine Steppdecke für 50 DM verkauft, die offenbar aus einer strafbaren Handlung stammte. Beim zweiten Besuch, etwa eine Woche später, habe Herr S. eine Pistole mitgebracht und, ohne dass sie – Frau K. - es sehen sollte, ihrem Ehemann Hans K. übergeben. Abends sei Herr S. mit Herrn K. einige Zeit weggefahren. Nach der Rückkehr habe Herr S. dem Herrn K. 1.500 DM übergeben und sinngemäß geäußert, ihm sei etwas gerutscht und er habe befürchtet, sie werde ihn erkennen. Am nächsten Morgen sei dann im Radio der Raubmord in Gravenbruch gemeldet worden.

Hans K. bestätigte die Angaben seiner in Haft befindlichen Ehefrau zur Bekanntschaft mit dem Ehepaar S. Auch dass dieses eine Zeitlang im selben Hause wie die ermordete Frau Theile gewohnt hatte. Weiterhin bestätigte er die beiden Besuche des Ehepaars S. in seiner Wohnung. Beim letzten Besuch sei das Ehepaar S. jedoch nur kurz in der Wohnung gewesen und bald aufgebrochen, um nach einigen Stunden wieder zurückzukehren. In Abwesenheit der Eheleute S. will K. in deren Koffer gegriffen haben; eine Pistole habe er dabei aber nicht mit Sicherheit festgestellt. Bei der Rückkehr des Ehepaares S. habe der Ehemann seine Brieftasche geöffnet, in der ein Bündel Geldscheine gesteckt habe. Nach kurzer Zeit sei das Ehepaar S. weggefahren. Am nächsten Tag habe er – Hans K. - vom Raubmord im Autokino Gravenbruch gehört, der am Vorabend stattgefunden hatte. Er habe einen Verdacht gegen das Ehepaar S. gehabt, der ihm jedoch zu vage schien, um ihn der Polizei mitzuteilen.

Das Ehepaar S. wohnte unterdessen in Berlin. Noch am 13.8.1969, am Abend nach der Vernehmung des Ehepaares K., flogen zwei hessische Kriminalbeamte nach Berlin. Am 14.8.1969 erließ das Amtsgericht Tiergarten Haftbefehl gegen Max-Egon S. Am 26.8.1969 wurde der Haftbefehl gegen ihn jedoch wieder aufgehoben. Nach umfangreichen Ermittlungen konnte der Tatverdacht als nicht mehr dringend im Sinne von § 112 StPO angesehen werden.

Auch der Tatverdacht gegen Hans K. im „Leiche-in-der-Truhe-Fall“ begründete sich allein auf Angaben seiner Frau, wobei sich diese in Widersprüche verwickelte.

Das Ehepaar S. hatten angegeben, am Tag des Raubmordes von Gravenbruch in einer Kinovorstellung im bayerischen Miesbach gewesen zu sein. Die Indizien reichten für eine weitere Inhaftierung nicht aus, es blieb aber trotzdem ein Tatverdacht. Dies äußerte sich in einer Begründung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Darmstadt, als Max-Egon S. Entschädigung für die erlittene U-Haft verlangte.

Darin heißt es:

„Gegen den Antragsteller besteht aber weiterhin ein nicht unerheblicher Tatverdacht. Gegen ihn liegen erheblich belastende Angaben beider Eheleute K. vor, die völlig unabhängig voneinander gemacht worden sind, sich weithin decken und für die sich – ihre Unrichtigkeit unterstellt – nicht ohne weiteres ein Motiv finden ließe. Zu einem Teil sind diese Behauptungen auch von den Eheleuten S. bestätigt worden. Mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten musste dahingestellt bleiben, ob der Beschuldigte S. sich zu der Zeit, zu der er in demselben Hause wie die spätere ermordete Ingrid Theile wohnte, geäußert hat, er besitze eine Pistole, die Kasse des Autokinos lohne einen Überfall, bei einem Überfall sei es nötig, eine Waffe mitzuführen (Angaben des Mitbeschuldigten K.),

ob der Beschuldigte mit seiner Ehefrau tatsächlich am Tattage – und zwar vor und nach der Tat – in Frankfurt a.M. war und sich nur zur Tatzeit aus der Wohnung K. entfernt hat (Angaben

der Ehefrau K. und teilweise von dem Mitbeschuldigten Hans K. bestätigt), oder ob seine Besuche in Frankfurt a.M. einige Zeit nach dem Tattage erfolgten, während er am Tattage eine Kinovorstellung in Miesbach besuchte (Angaben der beiden Beschuldigen S.),

ob der Beschuldigte S. bei seiner Rückkehr in die Wohnung K. beim zweiten Besuch im Herbst 1962 am späten Abend einige hundert Mark bei sich hatte, während er wenige Tage zuvor eine – offensichtlich entwendete – Daunendecke verkaufte und über kein Geld verfügte (Angaben der Eheleute K.).

Da nach alledem ein begründeter Tatverdacht gegen den Antragsteller weiter besteht, kann eine Entschädigung wegen der erlittenen Untersuchungshaft nach den dafür bestehenden Bestimmungen nicht gewährt werden.“

6. Fazit

Noch im Jahre 1976 meldete sich ein Knastinsasse, weil er bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft Wichtiges zum Autokino-Mord aussagen wollte. Seine dann gemachten Aussagen zog er aber wieder zurück, nachdem er wegen seiner Zusammenarbeit mit der Polizei von anderen Knastinsassen bedroht und drangsaliert worden war.

Trotz hunderten von Hinweisen aus der Bevölkerung und von Gefängnisinsassen ist der Mord an Ingrid Theile ungeklärt geblieben. Bis heute weiß man nicht, wer sich am 13. Oktober 1962 hinter der Maske verbarg.

Danksagung

Ich bedanke mich sehr herzlich bei

- Herrn Dr. Maaß vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt,

- Frau Claudia Lack vom Stadtarchiv Neu-Isenburg,

- Herrn Hans-Joachim Leber, Kriminalhauptkommissar a.D.,

- den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Stadtarchivs Offenbach am Main

- und last not least wieder bei meinem Lektor M.S.