Fall Nittribitt
2. Teil
Es wurde festgestellt, dass Rosemarie Nitribitt erwürgt worden war. Außerdem hatte sie eine Kopfplatzwunde erlitten gehabt; vermutlich war sie mit dem Hinterkopf gegen einen Sessel gefallen und bewusstlos geworden. Seltsamerweise muss ihr der Mörder noch ein Frottierhandtuch unter die blutende Kopfwunde gelegt haben. Eine Beziehungstat? War da etwas aus dem Ruder gelaufen? Teil ihrer Musiktruhe war ein Grundig-Tonbandgerät. Auf dem eingelegten Band befand sich noch eine Aufnahme davon, wie die Nitribitt an der Wohnungstür jemanden begrüßt und dieser Person einen Kognak angeboten hatte. Dann war ein paarmal „Lassen sie mich los“ oder „Lass mich los“ zu hören; danach brach die Aufnahme ab. Waren es die letzten Worte der Nitribitt vor dem Mord? Hatte der Täter das Gerät ausgeschaltet und vielleicht einige Passagen auf dem Band gelöscht gehabt? Oder war es die Aufnahme eines heftigen Rollenspiels, das mit dem Mord gar nichts zu tun hatte? Hätte ein Mörder bemerkt, dass das Tonbandgerät auf Aufnahme stand, hätte er doch wohl sicherheitshalber das Band mitgenommen und sich nicht erst die Mühe gemacht, unter Zeitdruck am Tatort die Aufnahme abzuhören oder passagenweise zu löschen… Das besagte Tonband ist verschwunden, es existiert nur noch eine Abschrift der Aufnahme.
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Die Eingangstür zu Rosis Appartement. Hier hat sich auch seit den 50ern nichts verändert.
Gefunden wurde die Nitribitt am 1. November, aber der Mord muss bereits 2 bis 3 Tage vorher verübt worden sein. Ihr Pudel „Joe“ war die ganze Zeit eingesperrt gewesen.
Die Kripo hatte jede Menge zu tun. Tatsächlich hatte Rosemaries Kundenkreis ein breites Spektrum. Von Spitzenleuten aus der Industrie bis zu „Otto Normalverbraucher“. Auch munkelte man von Bonner Polit-Prominenz. Besonders der Umgang mit den Industriebossen wurde von der Polizei nur äußerst liberal und verständnisvoll untersucht. Letztlich wollten beide Seiten vermeiden, dass die Namen durch die Presse gezerrt wurden. Heute, nach Jahrzehnten, weiß man, dass zu ihren prominenten Bekanntschaften Harald von Bohlen und Halbach, Harald Quant und die Gebrüder Sachs gehört hatten. Es hatten Nato-Offiziere dazugehört und ausländische Geschäftsleute. Kein Wunder, dass die Nitribitt ein Sparguthaben von bis zu 100 000 DM ihr Eigen nennen konnte und die Ermittlungen auch international geführt werden mussten; in den 50er Jahren noch ein mühseliges Unterfangen.
Der Gang zu Rosis Appartement.
Bald hatte man jedoch einen Verdächtigen am Haken: Heinz Pohlmann, ein vorbestrafter Hochstapler und Betrüger, homosexuell, evtl. auch bisexuell veranlagt. Er war für die Nitribitt das Mädchen für alles gewesen. War mit ihr ausgegangen, hatte für sie eingekauft, hatte ihren Hund „Joe“ Gassi geführt, hatte für sie gekocht usw. Pohlmann war immer verschuldet gewesen, nach dem Mord jedoch verfügte er auf einmal über ein großes Barvermögen, bezahlte seine Schulden und eine bei der Mercedes-Niederlassung bestellte und nachgerüstete 190er Mercedes-Limousine.
Es war bekannt, dass die Nitribitt immer eine große Barsumme von bis zu 20 000 DM in ihrer Wohnung gehabt hatte. Nach dem Mord war das Geld verschwunden. Hatte Pohlmann es an sich genommen? Ein Zeuge meinte, am 29. Oktober Heinz Pohlmann am Steuer einer dunklen Limousine gesehen zu haben, die mit rasender Geschwindigkeit aus einer Ausfahrt geschossen sei, die vom Hinterhof des Hauses Stiftstraße 36 in die Bleichstraße führte; der Zeuge gab an, fast überfahren worden zu sein. Auch soll Pohlmann einer Bekannten eine Hose zum Ändern gegeben haben, an der Blutflecke gewesen seien…
Hier vom Hof an der Rückfrontdes Hauses raste die schwarze Limousine heraus.
Die Ausfahrt in Richtung Bleichstraße
Hier der Hinterhof, rechts im Bild die Rückseite vom Turmpalast. Inzwischen abgerissen.
Die Kripo datierte den Mord auf den Nachmittag des 29. Oktober 1957. Jetzt aber rächte sich, dass am Tatort die Raumtemperatur nicht gemessen worden war, so dass der Todeszeitpunkt nicht mehr zuverlässig bestimmt werden konnte. Dem bald in U-Haft sitzenden Pohlmann wurde die angeblich blutbefleckte Hose zum entlastenden Indiz. Verschiedene Zeugen sagten übereinstimmend aus, dass die Nitribitt, zu dem Zeitpunkt, in dem Pohlmann die Hose an eine Bekannte gab, noch am Leben war und gesehen wurde. So soll sie z.B. in einer benachbarten Metzgerei noch Kalbsleber für ihren Hund gekauft haben. Tatsächlich wurde Kalbsleber im Kühlschrank gefunden. Also kann sich an Pohlmanns Hose nicht das Blut der Nitribitt befunden haben. Auch ist es dann egal, ob es Pohlmann war, der mit rasender Geschwindigkeit im Auto den Hinterhof des Hauses Stiftstraße 36 verlassen hatte, denn da hatte die Nitribitt nach denZeugenaussagen noch gelebt.
Pohlmann wurde aus der U-Haft entlassen und widmete sich mit Hilfe einiger Ghostwriter einer QUICK-Serie über den Mordfall, in der laufend neue Enthüllungen angekündigt wurden und zur Hilfe bei der Mörderjagd aufgerufen wurde. Doch die Serie wurde nach vier Folgen gestoppt. Über Mittelsmänner und Anwälte waren Pohlmann 250 000 DM dafür geboten worden, dass die Serie eingestellt wird. Dahinter stand die Firma Krupp, die ihren Namen aus der Affäre heraushalten wollte. Verständlich! Pohlmann erhielt jedoch nur 50 000 DM der versprochenen Viertelmillion und prozessierte dann noch wegen dem Restbetrag. Den Prozess verlor er.
Auch sollte er in dem Spielfilm von 1959 „Die Wahrheit über Rosemarie“ sich selbst spielen.Doch hier wurde interveniert, und Pohlmann wurde nach bereits 300 Metern abgedrehten Films durch den Schauspieler Jan Hendriks ersetzt. Zur damaligen Zeit war es noch eine mediale Sensation, einen Mordverdächtigen sich in einem Spielfilm selbst darstellen zu lassen.
Im Jahre 1960 wurde Pohlmann wegen Mangels an Beweisen – im Zweifel für den Angeklagten - freigesprochen. Der Richter erklärte später in einem Interview, es könne sein, dass Pohlmann das Geld aus der Nitribitt-Wohnung mitgenommen hatte. Er war höchstwahrscheinlich ein Dieb, aber nicht der Mörder.
Kinowerbung für „Das Mädchen Rosemarie”, 1958.
Der Film, in dem Pohlmann mitwirken sollte, floppte, im Gegensatz zu einem Vorgänger aus dem Jahre 1958. Dieser Film hieß „Das Mädchen Rosemarie“. Obwohl die Geschichte der Nitribitt hier nicht authentisch wiedergegeben wurde, bestimmt er das Bild von Rosemarie Nitribitt bis auf den heutigen Tag, vor allem durch die bezaubernde Darstellung der Nadja Tiller. Doch auch dieser Film, der als Satire auf die Wirtschaftswundergesellschaft geplant war, enthält ein Körnchen Wahrheit: Die Nitribitt hatte tatsächlich mit hochkarätigen Bossen aus der Industrie v e r k e h r t.
Nadja Tiller auf einer Veranstaltung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt/Main vor dem Plakat zu dem Film „Das Mädchen Rosemarie“.
Blofeld lässt sich auf der Gala von Nadja Tiller ein Autogramm auf das Filmprogramm geben.
Nach dem Freispruch für Pohlmann hätten die Alibis vieler Leute noch einmal überprüft werden müssen. Verkrachte Freier, ein Akademikersohn, der sich damals schon als „Stalker“ betätigt hatte, auch der Fensterputzer, der erst von Rosi heiß gemacht worden, dann nicht zum Zuge gekommen war, ihr jedoch noch 110 DM aus der Kommode im Flur geklaut hatte…
Da wäre aber auch noch die Aufwartefrau, mit der Rosi mehr verband. Die beiden waren zusammen aus und ins Kino gegangen, die Putzfrau hatte oft bei ihrer Chefin übernachtet…Es war ein Vertrauensverhältnis, ähnlich dem mit Pohlmann. Auch diese Frau machte widersprüchliche Aussagen, und ihr Alibi war alles andere als wasserdicht. Sie war zum Schluss mit der Nitribitt verkracht gewesen, weil sie eine Vase hatte zu Bruch gehen lassen, die Rosi von einem hochkarätigen Verehrer erhalten hatte. Dreimal war sie unterwürfig zurückgekommen und hatte sich mit der Nitribitt versöhnen wollen; die aber hatte gekeift sie auch noch als Diebin beschimpft. Wurde eine erneute Aussprache zu heftig ausgetragen und eskalierte…?
Und wie ist es mit einer ganz anderen Spur, die zurück in Rosis Vergangenheit, ins Frankfurter Bahnhofsviertel führte. Wollte das Rotlicht-Milieu ein Exempel statuieren, weil es freischaffende Prostituierte ohne Tantiemenbeteiligung nicht mehr duldete…?
Jahre später, im Januar 1966, wurde, ebenfalls in Frankfurt am Main, die Edelprostituierte Helga Matura auf grausame Weise umgebracht. Auch dieser Mordfall ist bis heute ungeklärt, im Gegensatz zum Fall Nitribitt allerdings fast vergessen. Wie mir ein Zeitzeuge mitteilte, war auch die Matura ohne Zuhälter tätig gewesen und hatte selbständig gearbeitet gehabt. Parallelen?
Interessant ist es auch, von demselben Zeitzeugen, der das Milieu sehr gut kennt, zu erfahren, dass die Matura und andere Prostituierte sich nach dem Tod der Nitribitt freuten, nun die Konkurrenz los zu sein und die Freier der Rosi übernehmen zu können…
Rosemarie Nitribitts Gebeine wurden auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beerdigt. Nur ein kleiner Personenkreis begleitete Rosi auf ihrem letzten Gang. Unter den wenigen Trauergästen war auch Mickey Bohnacker.
Ihr Totenschädel war als Beweismittel von der Frankfurter Staatsanwaltschaft zurückgehalten und später der Lehrmittelsammlung der Polizei ausgeliehen worden. Zuletzt war ihr Schädel in einer Vitrine des Frankfurter Kriminalmuseums ausgestellt. Im Februar 2008 wurde Rosemarie Nitribitts Totenschädel dann ihrem Torso im Düsseldorfer Reihengrab beigegeben.
Der Totenschädel von Rosemarie Nitribitt.
©Kriminalmuseum Frankfurt am Main/Polizeipräsidium Frankfurt am Main
Alle Farbfotos: (C)Arndt-Heinz Marx, Hanau
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